Im 19. Jahrhundert fand Friedrich Hebbel immer wieder Bewunderer und Gegner seiner Werke. Die einen empfanden sein Können als höchste Dichterkunst, während andere ihn und seine Kunst stark kritisierten. Noch heute streiten sich die Hebbelphilologen über sein Genie. Er wird als "Fixstern" unter den zehn wichtigsten Dramatikern der Weltliteratur und als Persönlichkeit, der gleichzeitig eine Vorbildfunktion ausübt, angesehen. Durch sein schweres, von Krankheit überschattetes, ärmliches Leben, so schrieb Franz Kafka, wurde Hebbels Gewissen verwundet, aber gleichzeitig empfindlich für jede literarische Einzelheit.
Es ist offenbar schwer, Hebbel gelassen und rein literarisch zu würdigen, und anscheinend bislang unmöglich, ein Urteil über ihn abzugeben, das nicht entweder selbst ambivalent oder kontradiktorisch auf ein anderes zu beziehen ist. Er reizt mehr als andere deutsche Künstler seiner Generation zu einer subjektiv-persönlichen, oft pathetisch-emotionalen oder moralisch gefärbten Rezeption, und er verführt den Kritiker dazu, mit ihm zu rechten und mit anderen über ihn zu streiten. Seine Befürworter lobten v.a. seine Fähigkeit, ohne jegliche Bühnenerfahrung die Zuschauer seiner Stücke zum selbstständigen Denken zu animieren. So konnte er sich jahrelang gegen die kontemporären Schriftsteller behaupten. Schon Hebbels Persönlichkeit und seine Lebensgeschichte sind für die Geschichte seines Ruhms von Bedeutung - in positivem wie negativem Sinn. Sein unablässiger entbehrungsreicher Kampf um geistig-künstlerische Befreiungen, sozialen Aufstieg und materiellen Spielraum gegen die niederdrückenden und einengenden Bande seiner Herkunft, seines Bildungsganges erweckten teilnehmende Bewunderung und stießen zugleich ab, da auch Hebbel auf dem Weg aus der pauperisierten Unterschicht zum "chevalier de plusieurs ordres" den Zoll des Emporkömmlings jener Zeit in Form seelischer Schäden und brutaler Entschlüsse zu entrichten hatte. Das Elend habe ihn, bekannte er 1845, innerlich "versteinert".
Aus den verschiedenen Werken, Briefen und Dokumenten, die Paul Bornstein gesammelt hat, gehen die Gegensätze seines Wesens hervor. Hebbel war reizbar und jähzornig, von menschenverbrauchender Egozentrie, dabei aus dem Grund seiner Überzeugungen zur "Achtung vor dem Menschenbild" gewillt; hin- und hergerissen zwischen schuldflüchtiger Selbstrechtfertigung und quälerisch forcierter Selbstbezichtigung; und dennoch leidenschaftlich um Gerechtigkeit bemüht. "In der Gerechtigkeit hatte er etwas wie ein Resultat seines Wesens", sie war "durchaus Übung, eine tägliche, stille schmerzliche Übung mit sich selbst". Er schockierte seine Umwelt durch ein provozierendes Selbstbewußtsein, und er entwaffnete durch Züge der Bescheidenheit und Pietät, durch Annerkennungs- und Verehrungsbereitschaft gegenüber jedem als bedeutend erkannten Geist.
In seinen Tagebüchern beschrieb Wilhelm Scherer Hebbel als einen bedeutenden Aphoristiker und als intellektuellen, künstlerischen, souveränen Beherrscher und Erneuerer der autobiographisch-autopsychographischen Zweckform des Diariums. Dieses führte zum Anlaß neuer Spaltungen unter den Kennern und Kritikern. Da uns Hebbels Kunst des spontanen Vortrages verloren ist, von der viele Zeugen berichten, haben wir in ihren oft kunstvollen Perioden das unmittelbarste Zeugnis seiner heftig drängenden, immer neu sich gabelnden und wieder auf ein Ziel hin konzentrierenden Denkbewegungen, einer auf das frappierend Paradoxe gerichteten Beobachtung und Vorstellungskraft, einer ruhelos experimentierenden Phantasie und Reflexion, einer im doppelten Sinn prozeßhaften "Auseinandersetzung mit der Welt und dem eigenem Selbst". Die Materialien von Ich und der Welt ergreift er als psychologisch bohrender Analytiker und spekulativ deutender Metaphysiker, als pathetischer Ankläger und scharfsinniger Verteidiger - und in allen diesen Rollen als wirkungsbewußt pointierender künstlerischer Gestalter, der noch die persönlichste und deprimierteste Äußerung auf ihre literarischen Qualitäten kontrolliert. Naturwissenschaftlich-technische Themen spielen allerdings fast keine, politische und ökonomisch-soziale nur eine beschränkte Rolle, gemessen an den Reflexionen über Bücher, über Dichter, Poesie und Ästhetik überhaupt und die unmittelbar damit verknüpften synkretischen Grundanschauung seiner Metaphysik, die in ihrem Kern noch Geist vom Geist des deutschen Idealismus, besonders der romantischen Mystik und Naturphilosophie ist, - so sehr er sie als eigenstes Eigentum empfand, von seinen Daseinserfahrungen unmittelbar bekräftigt.
Hebbels philosophisches Interesse war außerordentlich; schon das unterscheidet ihn von dem gleichaltrigen Otto Ludwig. Die Tagebücher und die Aufsätze zeigen Spuren der geistigen Begegnungen mit Kant, Schelling und Solger, mit Hegel und Schopenhauer. Die Kunst war ihm "die realisirte Philosophie, wie die Welt die realisirte Idee". Diese Auffassung erlaubte ihm, seiner philosophischen Passionen zu frönen und dennoch die Überordnung der Kunst über die Philosophie kategorisch zu behaupten. Im Dichter sah er ein Organ des Lebensgeistes selbst, im Schöpfungsakt mit seinem unterbewußten Impulsen partizipierend an der kosmischen Zeugungskraft, befähigt, die Schranken der Besonderung zu durchbrechen und proteisch sich "jeglichem Sein" anzuverwandeln. "Die begeisternde Stunde bringt dem Genius den Schlüssel zum Welt-All, nun kann er eintreten, wo er will."
In Lyrik und Ballade, Erzählung und Tragödie offenbaren sich Hebbels Welt- und Lebensverhältnis nach den Bedingungen der historischen Gattungstypen auf verschiedene Weise. Während in der Tragödien Hebbels die ethischen Konflikte und die Frustration der ichhaften Existenz, Größe und Not, Schuld und Hybris der Einseitigkeit dominieren, kontrastieren in der Lyrik Lebensdrang und Todessehnsucht, Individuations- und Regressionstendenzen in einfachen Stimmungsbildern dargestellt, daß auch die Auflösungs und Todeskräfte als ein positives Element des vitalen Seins erfahren werden; besonders in den geglücktesten Nacht-, Schlaf- und Traumgedichten vollzieht sich in den Momenten von Spannung und Lösung, Bangnis und Geborgenheit, Beklommenheit und Hingabe ein Prozeß der Einung von Individuellem und Universellem, den ein sehr persönlicher daktylischer Rhythmus im Wechsel von Stauung und Strömung sinnlich trägt und vermittelt.
Der größte Teil der Hebbelschen Lyrik ist freilich, in aller
Vielfalt, epigonal nach Sprache und Form, teils von selbstkritisch erlernter
Naivität, teils von formal konventioneller Reflexivität. Der
Kritiker und Theoretiker Hebbel sah alle deutsche Lyrik unausweichlich
zwischen diese feindlichen Pole Relexion und Naivität gestellt, zwischen
Goethesche "Unmittelbarkeit " und Schillersche "Spekulation" . Er hat damit
zwar kein Gesetz der deutschen Poesie schlechthin, wohl aber seine eigene
geschichtliche Situation als nachklassischen Lyriker bezeichnet. In der
Beurteilung seiner Zeitgenossen verhehlte er sich nicht, daß die
lyrische Naivität in eine Krise geraten war. "Man kann in Deutschland
nicht länger Veilchen begießen, oder sich in den farbigen Schmelz
des Schmetterlingsflügels vertiefen, während man in Frankreich
und England den Gesellschaftsvertrag untersucht und an allen Fundamenten
des Staats und der Kirche rüttelt. Das ängstliche Gefühl,
das sich an eine solche Untersuchung knüpft, die wenigstens scheinbare
Unsicherheit aller Zustände, die daraus hervorgeht, verbreitet sich
in raschen Schwingungen in ganz Europa, und erstickt zunächst die
fröhlichen Stimmen, die aus kindlicher Brust in Dank und Jubel zum
Festgelage des Lebens erschallen." An Heine rühmte Hebbel, daß
er noch die "desperatesten Töne"zu Musik und noch die lyrische "Harmonie"
zum "Ausdruck einer vom Krampf ergriffenen Welt" zu formen vermöge.
Aber er selber zog aus seinen kritischen Beobachtungen und zeitgeschichtlichen
Erkenntnissen keinen zureichenden Impuls zum durchbruchskräftigen
Experiment. "Ich bin der unerschütterlichen Überzeugung", schrieb
er bezeichnenderweise 1841, "daß die wahren Kunstformen ebenso notwendig,
ebenso heilig und unveränderlich sind, wie die Naturformen. Sie können
nicht ohne Lebensgefahr aus einander gezerrt, nicht verengert und erweitert
werden." Diese Sätze stehen in einer Vorrede zu einer geplanten Sammlung
seiner Erzählungen und Novellen, Arbeiten, deren Abhängigkeit
von vorgeprägten Genres (und von Autoren wie Jean Paul, Kleist, E.T.A.
Hoffmann, Tieck u.a.) auch unverkennbar ist. Sie stehen mit Recht im Schatten
des dramatischen oder der realistischen Werks, werden aber mit Unrecht
an den Meisternovellen der klassischen oder der realistischen Epoche und
den zugehörigen Novellentheorien gemessen. Hebbel selber war sich
bewußt, in ihnen keine "Welt" erbaut, sondern sich mit speziellen
"Charakteren und Situationen" eingelassen zu haben, die "neben dem Fratzenhaft-Lächerlichen
das Schauerlich-Gespenstische zur Anschauung bringen" sollten. Zwei Formtypen
lassen sich unterscheiden: die "Katastrophennovelle" als Tragigroteske
(Anna, Matteo, Die Kuh), in der die Situationen und das Ereignis dominieren,
der "Pragmatismus des Zufalls" eine Kettenreaktion des Unheils bewirkt
und an den verstörten Menschen und rasanten Vorgängen eine aufreizende
Diskrepanz von Ursache und Folge, Anlaß und Ausbruch in Erscheinung
tritt. Der zweite ist eine groteskkomische Episodenfolge, in der der "komische"
Mensch (wie Schnock oder Nepomuck Schlägel) dominiert und in immer
neuen Begebenheiten einen "verrückten" Charakterzug, eine fixierte
Abweichung vom Natürlichen und Vernünftigen manifestiert. Biographisch
betrachtet, sind die Erzählungen Vorstufen auf dem Weg Hebbels zur
"klassischen" Tragödie; ästhetisch-weltanschaulich sind sie ein,
ihm gattungstheoretisch naheliegender, formaler Spielraum für eine
"Verspottung des Seins durch die Gestaltung des Nichts" mit Hilfe von "Humor"
und "Komik" (worunter Hebbel "Erkenntnis der Anomalien" versteht). Er bedurfte
solcher "Excursionen" seiner "Phantasie" als eines "Gegengewichts" in den
depressiven Gemütszuständen der Frühzeit, und es schien
ihm den überkommenen Darbietungsformen des erzählerischen "Nachtstücks"
und des literarischen Genrebilds gemäß zu sein, die widersinnigen
"Anomalien" des Seins gegen dieses auszuspielen, teils in ihrer Ergötzlichkeit,
teils aber auch in ihrer Entsetzlichkeit ("eben,weil der Humor gräulich
ist, ist er unwiderstehlich", meinte Hebbel anläßlich eines
makabren Novellenplans). Im Gegensatz zu den Erzählungen soll die
Tragödie Hebbels die "Notwendigkeit" zur Geltung, die "Grundverhältnisse"
zur Anschauung bringen. "Denn das Drama ist nur darum die höchste
Form des Dramas, weil das Gesetz des Dramas dem Weltwillen selbst zu Grunde
liegt und die Geschichte sich in allen großen Krisen immer zur Tragödie
spitzt."